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Jüngere Dorfgeschichte

von Lantershofen

Neue Heimat Lantershofen - Ansiedlungen in Grafschaft 1945-1953 (2)

Von Ottmar Prothmann |

Ottmar Prothmann: Ansiedlung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen in Grafschaft - eine gelungene IntegrationSowjetzonenflüchtlinge.

(Teil 2) Mit Ankunft von Ostzonenflüchtlingen verschärfte sich die angespannte Lage dieser Jahre noch zusätzlich. Im November 1949 schätzte man, dass 80.000 bis 90.000 Personen aus der russischen Besatzungszone nach Rheinland-Pfalz geflohen bzw. zugewandert waren. In den Dörfern des Amts Ringen wurden allein vom 1. April 1949 bis zum 15. September 1950 63 Ostzonenflüchtlinge untergebracht. Anfang 1953, noch vor dem Volksaufstand vom 17. Juni, sollte der Kreis Ahrweiler 512 Sowjetzonenflüchtlinge aufnehmen. In Erwartung dieser Flüchtlinge wurde am 5. Februar 1953 im Saal der Gastwirtschaft Seidler in Ringen (Ahrtalstraße 12) wieder ein zentrales Durchgangslager des Kreises Ahrweiler eingerichtet. Von den angekündigten 512 Flüchtlingen kamen schließlich nur 335. Das Amt Ringen erhielt 39 Personen. Weitere Flüchtlinge folgten, bis am 28. Februar 1955 das Lager aufgelöst wurde.

Unterbringung. Insgesamt waren also rund 600 Heimatvertriebene und Flüchtlinge auf der Grafschaft untergekommen. Bei einer durchschnittlichen Größe der Dörfer von 300 Einwohnern entsprach dieser Zuwachs der Einwohnerschaft von zwei Dörfern. Einen solch enormen Bevölkerungszuwachs hatte es sicher in der langen Geschichte der Dörfer nie gegeben. Zu all den Schwierigkeiten der Nachkriegsjahre belastete die Unterbringung der Heimatvertriebenen die Gemeinden zusätzlich bis an die Grenze des Erträglichen. Die Dörfer der Grafschaft hatten den Krieg ohne größere Zerstörungen überstanden. Da die Landwirtschaft die Haupterwerbsquelle der Bevölkerung war, brauchte hier niemand zu hungern. Darüber hinaus herrschte jedoch Mangel an allem, was man sonst noch zum Leben benötigte. Die Wohnhäuser waren überwiegend alte Fachwerkbauten und eigneten sich gemäß der kleinbäuerlichen Struktur nicht zur Aufnahme einer zweiten Familie. Dabei waren die Wohnverhältnisse im Vergleich zu heute sehr bescheiden. An sanitären Anlagen war oft nur ein sogenanntes „Plumpsklo“ außerhalb des Wohnhauses vorhanden. Viele Dörfer der Grafschaft besaßen noch keine Wasserleitung. Für die Hauseigentümer bedeutete es einen erheblichen Eingriff in ihr Privatleben, fremde Menschen in ihr Haus aufzunehmen und vielleicht lange Jahre auf engstem Raum mit ihnen zusammenleben zu müssen. Daher verwundert es nicht, dass sich erhebliche Schwierigkeiten auftaten. Auch als bekannt gemacht wurde, dass die Hauseigentümer für die Hergabe von Räumen und Hausrat angemessen entschädigt werden sollten, förderte das kaum die Bereitschaft der Hauseigentümer, Wohnraum anzubieten. Etliche Gemeindebürgermeister des Kreises beteiligten sich wenig an der Aktion oder opponierten sogar offen. In Ahrweiler, Bad Neuenahr und Remagen wurden Lastwagenfahrer, die den Hausrat der Heimatvertriebenen anliefern wollten, zum Teil unter Bedrohung gehindert, ihn abzuladen. 15-mal musste die Polizei eingreifen, um die Zuweisung zu erzwingen. Von der Grafschaft sind keine polizeilichen Maßnahmen bekannt. Den Heimatvertriebenen blieb dies alles nicht verborgen. Sie spürten, falls sie nicht in ein leerstehendes Haus eingewiesen wurden, dass sie den Hauseigentümern zur Last fielen. Am 25. Juli 1950 schrieb Amtsbürgermeister Simons von Ringen an den Landrat, dass rund 50 Prozent der zugeteilten Heimatvertriebenen aus Schleswig-Holstein untergebracht seien. Die Zwei- und Mehrraumwohnungen seien restlos aufgebraucht. Von jetzt an eintreffende Heimatvertriebene könnten nur noch ein vorläufiges Quartier, aber keine dauernde Wohnung mehr erhalten. Auch diese Möglichkeit sei schnell erschöpft. Außerdem habe die Amtskasse bereits erhebliche Beträge für die Bezahlung von Einrichtungsgegenständen vorgeschossen, so dass ihre Finanzkraft jetzt erschöpft sei und sie nicht mehr ihren eigenen Verpflichtungen nachkommen könne. Der Landrat antwortete, dass er seine Schwierigkeiten durchaus kenne, in den anderen Amtsbürgermeistereien sei aber die Situation nicht besser und deshalb könne er ihn nicht entlasten. Am 15. November 1950 waren noch für 200 Flüchtlinge, die bereits im Amtsbezirk Ringen lebten, Wohnungen zu beschaffen. Die Wohnungsnot milderte sich langsam in den 1950er bis 1960er Jahren mit dem Neubau von Häusern. Vom Staat wurden Aufbaudarlehen aus dem Lastenausgleich den Personen gewährt, die einen Vertreibungsschaden oder Kriegssachschaden geltend machen konnten. So gelang manchen Flüchtlingen der Bau eines Hauses, oft aber auch erst in der nächsten Generation.Zum Bau von Flüchtlingsheimen kam es nur in Vettelhoven. Dort waren bis 1952 72 Heimatvertriebene eingewiesen worden, darunter viele Landarbeiter, denn die drei größeren Bauernhöfe des Dorfes benötigten viele Hilfskräfte. 1955/56 wurden im Rahmen der Flurbereinigung 27 Bauplätze für Handwerker und Landarbeiter ausgewiesen. Außerdem errichtete die „Landsiedlung Rheinland-Pfalz“ am westlichen Dorfrand vier Landarbeiterhäuser mit je einer Einliegerwohnung. Zu jedem Haus gehörte eine Garten- und Ackerfläche von 35 Ar.

Wirtschaftliche Verhältnisse. Die meisten Heimatvertriebenen stammten aus ländlichen Räumen, hatten einen Bauernhof besessen, auf großen Gütern gearbeitet oder ein dörfliches Handwerk betrieben. Auch die Grafschaft war zur Hauptsache landwirtschaftlich orientiert, an Industriebetrieben gab es nur die Tongruben in Lantershofen und Ringen. Daher war es fast ausgeschlossen, Flüchtlinge im hiesigen Bezirk in den Arbeitsprozess einzugliedern. In der Landwirtschaft bestand Anfang Februar 1950 nur noch ein Bedarf von etwa 50 Arbeitskräften. Die Chance für die Flüchtlinge, durch Anpachtung eines Bauernhofes in diesem Beruf wieder eine Existenzgrundlage zu finden, war äußerst gering.Wegen der ungünstigen Verkehrsverbindungen war es nicht einfach, von der Grafschaft aus die Arbeitsstellen in den Städten zu erreichen, wobei ein Anfahrtsweg von 30 Kilometern als zumutbar galt. Autos besaßen damals nur wenige Geschäftsleute in den Dörfern. Daher wollten etliche Familien „umgesetzt“ werden, um eine Arbeit aufnehmen zu können. Gewünschte Wohnorte waren die Städte Ahrweiler, Bad Neuenahr, Remagen und Sinzig oder ein Industriebezirk. Doch Wohnraum war nach den Kriegszerstörungen und der großen Zuwanderung auch überall in den Städten knapp. Der Staat gewährte den Heimatvertriebenen monatlich eine kleine Zuwendung, die jedoch zum Leben kaum ausreichte. Deshalb versuchten alle, ein Grundstück zu pachten, um Gemüse und vor allem Kartoffeln, das Hauptnahrungsmittel, anzubauen. Manche hielten Hühner und Kaninchen, Schweine nicht, denn dazu musste man mehr Land besitzen. Außerdem versuchten alle, durch Arbeit in den Bauernhöfen einen Zusatzverdienst zu erhalten. Wenn bei der Ernte die Getreidefelder abgeerntet waren, sammelten sie die zurückgebliebenen Ähren. Alles, was essbar war, wurde verwertet. Aus Brennnesseln wurde Spinat gekocht und im Herbst Pilze gesucht, eine Kostbarkeit, die Einheimische eigenartigerweise nicht nutzten.Die wirtschaftlichen Verhältnisse der gesamten Bevölkerung besserten sich in den 1950er Jahren dank des schnellen Aufschwungs der deutschen Wirtschaft zusehends, so dass jeder Arbeit finden konnte, um seinen Lebensunterhalt ausreichend zu gewährleisten. (Ottmar Prothmann, Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2011 - (Fortsetzung 3 folgt später)