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Die Marienkapelle auf der Heide

Von Ottmar Prothmann |

In Verlängerung des Heidewegs Richtung Bengener Heide steht in der Nähe des Waldrands ein größeres Heiligenhäuschen, das heute allgemein als Feldkapelle bezeichnet wird, bei den alten Leuten aber noch „Hellejehöisje“ heißt. Bei meiner ersten Besichtigung im Dezember 1987 zeigte sich die Feldkapelle wie folgt: Vorderer Teil mit einem Gitter abgetrennt. Dort hingen an den Wänden viele Votivtafeln, in einer Nische an der Giebelwand eine Marienstatue aus Gips, darüber ein hölzernes Kruzifix mit einem Korpus aus Holz. Im zugänglichen Teil vier Bänke, auf Blechen am Gitter viele brennende Lichter. Außen in einer nicht verschlossenen Nische über der Eingangstür eine Heiligenfigur. Auf einer Steinbank vor dem Gebäude Blumen. Rundherum eine Anlage aus Sträuchern und Blumen.

Entstehung, Pflege und bauliche Veränderungen. Auf eine Umfrage des Generalvikariats vom Jahre 1847 berichtete der Pfarrer von Karweiler, dass in der Pfarrei neben der Kirche in Karweiler eine Kapelle in Lantershofen und ein Heiligenhäuschen vorhanden seien. In welchen Jahren Kapelle und Heiligenhäuschen erbaut worden seien, wisse er nicht. Es fehlten Jahreszahlen an den Gebäuden, und Urkunden seien ihm nicht zu Gesicht gekommen. Sie schienen aber nach der Bauart dem 17. Jahrhundert anzugehören. Das Heiligenhäuschen sei acht Fuß lang und fünf Fuß breit [2,50 x 1,55 Meter]. Waren schon 1847 keine schriftlichen Quellen zur Entstehung der Feldkapelle bekannt, so ließen sich solche inzwischen auch nicht finden. Es gab lediglich eine mündliche Überlieferung, die Lehrer Robert Krämer aufzeichnete. Sie bezog sich auf Pastor Johannes Maur, der in Karweiler als Sohn des Lehrers Anton Maur (Lehrer von 1851 bis 1897) aufwuchs und als Pensionär seinen Lebensabend von 1934 bis zu seinem Tode 1951 im elterlichen Haus verbrachte. Außer ihm wusste niemand mehr von der Entstehung des Marienkapellchens zu berichten.

Robert Krämer fasste die mündliche Überlieferung wie folgt in Worte: „Damals - vor mehr als 300 Jahren - beunruhigte der Dreißigjährige Krieg unsere Heimat, die sich Grafschaft nennt. Die Schweden fanden in den Gehöften der gesegneten Grafschaft reiche Beute und suchten diesen Landstrich zu halten. Auf der Karweiler Heide fuhren sie ihre Kanonen auf und schossen hinüber zu dem Waldrande von Ringen, von wo aus man ihnen die Grafschaft entreißen wollte. Der Gegner schwieg nicht - er antwortete. Die Kugeln zischten über das kleine Dörflein Karweiler hin und her. Haus und Hof gerieten in höchste Gefahr. Die um ihr Leben bangenden, aber gläubigen Bewohner, beteten. Sie beteten zur Gottesmutter. Ja, sie machten ein Versprechen: Ein Muttergotteshäuschen sollte als Dankstätte errichtet werden, wenn das Dörflein unversehrt bliebe. Schon bald verstummten die Kanonen auf beiden Seiten, und Karweiler und sein gläubiges Völkchen war gerettet. Wo die drohenden Kanonen der Schweden gestanden hatten, bauten die dankerfüllten Menschen das Muttergotteshäuschen.

Eine andere Überlieferung besagt: Um die Zeit des 30-jährigen Krieges flüchteten die Bewohner von Holzweiler, Ringen, Karweiler und vielleicht auch noch aus anderen Orten der Grafschaft vor den plündernden Truppen in den Wald. An der Stelle, wo heute die Kapelle steht, gaben sie das Versprechen, dort eine Kapelle zu Ehren der Gottesmutter zu errichten, sollten sie diese Drangsal überleben. So soll diese Kapelle entstanden sein. Eine weitere abweichende Überlieferung wusste der am 19. Dezember 1934 im Alter von 90 Jahren in Ringen verstorbene Joseph Koch, geboren in Bölingen, zu berichten: Die Schweden brandschatzen von ihrem Lager am Bölinger Wald die ganze Umgebung (nach dieser Schilderung hätten die Schweden also ihr Lager am Bölinger Wald und nicht bei Karweiler gehabt). Über den Bauplatz der Kapelle ist mündlich überliefert: Das Kapellchen sollte vor dem Wald gebaut werden, aber die Baumaterialien, die man dort abgelegt hatte, lagen am nächsten Morgen oben an der Stelle, wo das Kapellchen jetzt steht. Ähnliche Sagen über die Verlagerung des Baumaterials finden sich auch andernorts. Sie entstanden vielleicht, weil es Streit über den Standort des Bauwerks gegeben hatte. Auffallend ist, dass das Heiligenhäuschen am Anfang des Heidewegs die Jahreszahl 1632 trägt, also genau das Jahr des Schwedeneinfalls.

Den ältesten schriftlichen Nachweis der Marienkapelle fand ich bisher in einer Auflistung der Ländereien des Pastors von Bengen aus dem Jahre 1674. Zu seinen Besitzungen zählte ein Grundstück „beym Carweiler Hilgenhaüßgen ahn der rütschen Ahn seiten nach dem Hilgenhaüßgen“ und angrenzend an ein Stück des Blanckart zu Lantershofen. Die Marienkapelle erfuhr ständige Reparaturen und Veränderungen. 1936 fand eine Instandsetzung des Inneren statt, wobei auch die Marien-Statue erneuert wurde. Ein Foto von 1951 zeigt bereits eine Verlängerung der Feldkappelle, die wohl erfolgte, damit einige Betstühle darin Platz finden konnten, um damit dem gestiegenen Interesse der Besucher nachzukommen.

Im Jahre 1956 wurde der baufällige Dachstuhl von der Firma „Kettiger Thonwerke“ in Lantershofen erneuert und geschiefert. Vorher war das Dach teilweise noch mit „Schottelspanne“ (Hohlpfannen) gedeckt (Bemerkung über die alte Eindeckung nach Aussage von Hubert Rink (* 1916), Karweiler 2007, der die Arbeit damals ausgeführt hat). Auf das Dach setzte man einen kleinen Turm und hängte dort eine nicht mehr benötigte Glocke aus der genannten Tongrube auf, die früher dort das Tagewerk und die Pausen ein- und ausgeläutet hatte und vor Jahrzehnten durch eine Sirene ersetzt worden war.

Am 4. Juli 1965 wurde eine neue Muttergottesstatue von Dechant Josef Zenz in der Pfarrkirche geweiht und in feierlicher Prozession zum Kapellchen getragen. Als Vorlage für die Holzstatue dienten das Bild eines süddeutschen Meisters aus dem 12. oder 13. Jahrhundert sowie Skulpturen im Aachener Museum. Peter Mombauer aus Karweiler, der damals die Kapelle mit großer Sorgfalt und Liebe pflegte, sammelte das Geld hierfür. Die alte Gipsstatue wurde vom Pastor für kitschig gehalten und entfernt, obwohl sie vielen ans Herz gewachsen war. Am 19. Mai 1992 hebelten unbekannte Täter die Gittertür zur Marienkapelle auf. Sie entwendeten zwei Heiligenfiguren (Maria mit Kind und Josef). Bei der Marienfigur handelte es sich um eine Gipsfigur in den Farben weiß und blau. Bei der Kirmes 1992 wurde eine Madonnenfigur eingeweiht, gekauft von Spenden der Bevölkerung.

Im Frühjahr 2000 fanden umfangreiche Renovierungsarbeiten statt, verursacht durch eine Tanne, die bei einem Sturm umgestürzt war und das Gebäude beschädigt hatte. Diese und eine zweite Tanne wurden jetzt entfernt. Ihre großen Wurzeln hatten den Kapellenboden unterhöhlt und dadurch das Mauerwerk beschädigt. Da die Kapelle im Gemeindebesitz ist, renovierten Mitglieder des Ortsbeirats das Gebäude, unterstützt durch die Gemeindeverwaltung. Der gesamte Fußboden wurde bis auf die Fundamente ausgehoben und das dort befindliche Wurzelwerk entfernt. Ein neuer Belag aus Naturstein wurde aufgebracht. Anstricharbeiten und Restaurierung der Marienstatue sowie eines großen Kreuzes führte ein Bürger aus Karweiler kostenlos aus. Mit Unterstützung des Gemeinde-Bauhofs wurden auch die Außenanlagen neu gestaltet. Seit 2011 läutet auch die kleine Glocke im Dachreiter wieder. Betreut und gepflegt wurde die Feldkapelle 1964 von dem 79-jährigen Peter Mombauer aus Karweiler. Von ihm übernahm seine Tochter Franziska Mombauer diese Aufgabe. Im März 2007 wurde sie anlässlich ihres 85. Geburtstags dafür geehrt, dass sie seit 35 Jahren unermüdlich die Marienkapelle pflegte. Heute (2016) betreuen die Eheleute Albert und Gisela Mertens die Kapelle.

Religiöse Beachtung der Kapelle. Die Marienkapelle findet seit langem eine solche Beachtung wie keine andere Feldkapelle der Grafschaft, nicht nur durch die alljährlich im Mai stattfindende Prozession, sondern auch als Pilgerstätte von Nah und Fern. Kaum ein Wanderer geht vorbei, ohne dort Einkehr zu halten. Schon um 1800 fand die Marienkapelle eine besondere Wertschätzung, wie aus den Aufzeichnungen des 1791 in Lantershofen geborenen Johann Bender hervorgeht. Er war schon als junger Mann nach eigenem Bekunden ein Sonderling. Von den Eltern streng religiös erzogen, verbrachte er mit seinem Freund Johann Schumacher viele Stunden bei religiösen Übungen. Nach den Gottesdiensten blieben sie manchmal noch lange in der Kirche und gingen nicht einmal zum Essen nach Hause. Im Sommer schlossen sie sich an den Sonntagen den Frauen an und wallfahrten zu einem Kapellchen. Mit diesem Kapellchen kann nur die Marienkapelle auf der Heide bei Karweiler gemeint sein. Dieser Brauch hielt sich noch lange in Lantershofen, wie mir 1995 Heinrich Schütz (*1907) berichtete: „Wir sind oft zum Kapellchen nach Karweiler auf die Heide gegangen, zu den verschiedensten Gelegenheiten, die Frauen auch manchmal sonntags, wenn man nicht wusste, was man tun sollte.“ Auch Hedwig Ley (*1926) aus Lantershofen erzählte mir, schon immer spazierten wir häufig zu dieser Kapelle.

Am Nachmittag des 30. Mai 1920 fand unter Pastor Karl Josef Bauseler zum ersten Mal, und zwar unter zahlreicher Beteiligung, eine Prozession zum Marienkapellchen statt. Dort war Predigt mit Marienandacht, die durch den mehrstimmigen Gesang des Chores verschönert wurde. Schon im folgenden Jahr 1921 nahmen viel mehr Andächtige als im Vorjahr an der Prozession teil. „Eine fast unübersehbare Menge, auch viele aus den Nachbar-Orten“, hatte sich eingefunden. Seither wurde dieser Brauch jährlich fortgesetzt. Im Mai 1925 berichtete die Zeitung: „In zunehmendem Maße ist das idyllische Marienkapellchen auf der Neuenahrer Heide bei Carweiler Zielpunkt der Spaziergänger und Sammelstätte frommer Beter, namentlich in der letzten Zeit, nachdem es einer gründlichen Restaurierung unterzogen worden ist.“ Am Pfingstmontag des Jahres 1947 wurde die Maiprozession nach der Kapelle am Morgen gehalten. Das Hochamt mit Predigt und Weihe der Pfarrei an das unbefleckte Herz Mariae fand dort zum ersten Mal mit Genehmigung der Bischöflichen Behörde statt. 600 bis 700 Teilnehmer hatten sich eingefunden. Abends ging eine Prozession zur Erflehung guter Witterung nach der Heidekapelle, wo die Andacht gehalten wurde. Die Beteiligung war gut.

Auch heute noch ziehen Gläubige aus Karweiler und anderen Orten jedes Jahr am letzten Sonntag des Marienmonats in langer Prozession über die Heide zu diesem Kapellchen, um dort in einer Andacht mit Marienpredigt der Gottesmutter zu huldigen. Und fast jedes Mal berichtet die Presse darüber. Diese Marienkapelle scheint eine besondere Anziehungskraft zu besitzen. Bei der traditionellen Prozession jeweils am letzten Sonntag im Mai nahmen beispielsweise 1996 über 100 Personen teil. Sie ging wie üblich von der Pfarrkirche aus. An-schließend traf man sich in der Karweiler Schule zum gemütlichen Beisammensein. Die Katholische Frauengemeinschaft von Bengen, Karweiler und Lantershofen hatte erstmals die Organisation übernommen. Zu den Besuchern der Marienkapelle gehörte auch die Heimatdichterin Paula Gerhards aus Bad Neuenahr, die folgendes Gedicht verfasste:

"Ein Heiligenhaus am Wegrand steht von Heckenrosen überdacht, und eine Kerzenflamme weht hinauf zur Muttergottes sacht. Wie eine Insel fromm und klein steht es am breiten Roggenfeld. Es riecht nach Beeren reif am Rain, wenn sich des Wand‘rers Schritt verhält. Die schweren Ähren neigen sich andächtig und wie zum Gebet. Die Lerche jauchzend minniglich in ihrem Psalme aufwärts strebt. Ein altes Bänklein bietet Rast und wer sie hier genießen will, fern allem Lärm und aller Hast, (verträumend nach des Tages Last,) der sieht Maria lächeln still."

Dass bis heute die Anziehungskraft der Kapelle nicht nachgelassen hat, beweisen die ständig brennenden Lichter. Zahlreiche Votivtafeln zeugen von Gebetserhörungen. 1951 waren 36 Votivtafeln vorhanden, 1956 und 1961 43 Votivtafeln. Am 25. Dezember 1987 waren es 54 Votivtafeln aus Marmor, soweit datiert von 1929 bis 1985. Unter den genannten Anlässen sind einige für eine glückliche Heimkehr aus dem Krieg, darunter die Tafel der Mutter von Hans Valder mit der Inschrift „Dank der lieben Gottesmutter für die Heimkehr aller Söhne 1945“. Es waren fünf Söhne von insgesamt zehn Kindern, die nach dem Krieg glücklich in die Familie zurückkehrten (Ottmar Prothmann: Kleinere religiöse Denkmäler und Gedenkstätten in der Germeinde Grafschaft).

Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade. Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.