Von der Weinkellerei zum Dorfgemeinschaftshaus
Stefan Dünker / Dezember 2014
Die ältesten Teile des Lantershofener Winzervereinsgebäudes wurden 1898 errichtet. Ein Jahr zuvor hatten sich 49 Gründungsmitglieder als „Winzerverein Lantershofen“ genossenschaftlich organisiert. Sie folgten hierbei den Zeichen der Zeit, gründeten sich doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts überall in der Region Winzergenossenschaften, in denen sich die Weinbergsbesitzer der einzelnen Orte zusammenschlossen. Gründe für diese Entwicklung lagen im Allgemeinen vor allem in dem Bestreben durch größere Zusammenschlüsse von Winzern eine bessere und weiträumigere Vermarktung der Weine zu ermöglichen. In Lantershofen wirkte im Speziellen auch die Etablierung eines größeren montanistischen Arbeitgebers in Form der Kettiger Thonwerke katalysierend, da hierdurch die Landwirtschaft, welche bis dato meist den Haupterwerb der ortsansässigen Familien darstellte, sich zunehmend zu einem Nebenerwerb entwickelte.
Unmittelbar nach der Gründung des Lantershofener Winzervereins wurde mit den Planungen für den Bau eines genossenschaftseigenen Produktionsgebäudes begonnen. Hierfür wurde nach längeren Verhandlungen das Grundstück des heutigen Winzervereins in der Winzerstraße (damals noch Eulengasse) erworben. In einer rekordverdächtigen Zeit von nicht einmal einem Jahr errichtete man dort den Festsaal, einen Weinkeller und ein kleineres Nebengebäude, in dem sich sowohl der Produktionsbereich als auch eine kleine Weinstube befanden. Obwohl die Genossenschaftsmitglieder erhebliche Eigenleistungen erbrachten, beliefen sich die Kosten allein für die Bauarbeiten auf mehr als 21.000 Reichsmark, was nach heutiger Kaufkraft etwa 135.000 € entspräche. Ein nicht zu unterschätzendes finanzielles Risiko für die Mitglieder der Genossenschaft, die nach damaligem Recht noch unbegrenzt haftbar waren und somit potentiell ihre persönliche wirtschaftliche Lebensgrundlage hätten in Gefahr bringen können.
Das Gebäude wurde bald nach seiner Fertigstellung neben seinem Hauptzweck, der Weinherstellung, auch als zentraler Veranstaltungsort des Dorfes vielfältig genutzt. Der Festsaal, in dem damals vor allem in den Sommermonaten regelmäßig Tanzveranstaltungen abgehalten wurden, avancierte zum Hauptveranstaltungsort der jährlichen St. Lambertus-Kirmes und die Weinstube stellte einen wichtigen Treffpunkt innerhalb des Dorfes dar. Ab 1907 wurden die Ratssitzungen der damals noch eigenständigen Gemeinde Lantershofen in den Räumlichkeiten der Winzergenossenschaft abgehalten.
Der Genossenschaft gelang es, die wirtschaftlichen Krisen der 1920er Jahre zu überleben und den Gebäudekomplex zu halten. Sie überstand auch die für den Weinbau an der Ahr katastrophalen Jahre 1926 und 1927, in denen infolge von Frostnächten im Mai zahllose Rebflächen zerstört wurden und alle Weinberge in der Gemarkung Lantershofen ausgehauen werden mussten. 1935 wurde die Figur des Heiligen Lambertus eingeweiht, die sich noch heute an der Winzerstraßen-Front des Gebäudes befindet. Den Zweiten Weltkrieg überstanden die Gebäude des Lantershofener Winzervereins ohne nennenswerte Beschädigungen.
1947, im Jahr des 50. Jubiläums der Genossenschaft, wurden größere bauliche Veränderungen am Genossenschafts-Gebäude vorgenommen. Es erfolgte ein An- und Ausbau des Nebengebäudes und der gesamte Gebäudekomplex wurde neu verputzt. Des Weiteren wurden zwei neue Gärbottiche mit einem Fassungsvermögen von jeweils 15.000 Liter angeschafft, die sich damals auf dem neuesten Stand der Technik befanden. Hierdurch konnte das Gesamtvolumen der zur Verfügung stehenden Gärbehälter, nunmehr insgesamt 51.000 Liter, mehr als verdoppelt werden. Der Neubau einer Gaststätte hingegen wurde zwar erwogen, jedoch schlussendlich nicht realisiert. Anlässlich des Jubiläumsfestes wurde ein neues Weinfass angeschafft, in dessen Front eine plastische Darstellung des Heiligen Lambertus von dem bekannten Ahrweiler Künstler und Mitglied der ARE-Künstler-Gilde Hanns Mattschulla eingeschnitzt wurde. Der kunstvolle Fassboden ist auch heute noch erhalten.
Ebenfalls noch 1947 wurde im Saal des Winzervereins das erste Lantershofener Schützenfest der Nachkriegszeit veranstaltet. Aufgrund des Verbots der Besatzungsbehörden, ein Schützenfest in traditioneller Form abzuhalten, ermittelte man den neuen Schützenkönig in einem Speerwurf-Wettbewerb auf ein kleines Glasvögelchen, das mit einer Schnur unterhalb des Balkons im Festsaal aufgehängt worden war. Der Saal wurde in den folgenden Jahren auch als Ersatz für eine nicht vorhandene Sporthalle in Lantershofen genutzt. So trainierte der 1948 gegründete TTC Karla in seinen Anfangsjahren ebenso unter dem Dach des Winzervereins wie diverse Lantershofener Fußballmannschaften.
Im Jahr 1967 wurde die Weinstube des Winzervereins von Hedwig und Karl Krupp als Pächter übernommen, die diese 35 Jahre lang bis 2002 führen sollten. Zunächst wurde dort wie zuvor lediglich genossenschaftseigener Wein ausgeschenkt, schnell entwickelte sich die Lokalität jedoch zu einer Kneipe mit Fassbierausschank, die den meisten Lantershofener Vereinen und Bürgern noch in guter Erinnerung ist.
Als man 1972 im Hof des Grundstückes ein separates Toilettenhaus errichtete und Anfang 1974 die heute im Gewölbekeller verwendeten Tische und Stühle, bezuschusst durch die unmittelbar vor ihrer Aufhebung stehende Gemeinde Lantershofen, neu für den Festsaal anschaffte, stand die Genossenschaft bereits vor immensen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Neue Anforderungen an Qualität und Technik in der Weinherstellung sowie die Entwicklung der Absatzmärkte für ihre Produkte sorgten dafür, dass die kleinen, örtlichen Winzergenossenschaften an der Ahr nicht mehr in der Lage waren wirtschaftlich zu produzieren. Bereits in den 1960er Jahren war ein erster Versuch, sich unter Führung des Kreisbauern- und Winzerverbandes mit anderen Genossenschaften in der sogenannten „Ahrtalkellerei“ zu vereinen, unter hohen finanziellen Verlusten gescheitert. Dennoch erschien es offensichtlich, dass nur ein größerer Zusammenschluss mehrerer kleiner Genossenschaften wieder in der Lage wäre wirtschaftlich konkurrenzfähig Wein zu produzieren. Aufgrund dieser Notwendigkeit wurden auch nach dem Scheitern der Ahrtalkellerei weiterhin Verhandlungen mit den anderen Winzergenossenschaften der Ahr über eine Vereinigung der Ahrwinzer geführt. Als im Verlauf der 1970er Jahre die meisten Winzergenossenschaften am Unterlauf der Ahr unter Führung der Dernauer Winzergenossenschaft zur „Vereinigten Ahrwinzer Genossenschaft e.G.“ fusionierten und auch die Lantershofener Winzergenossenschaft mit den Dernauern in Verhandlung stand, wurde ihr eröffnet, dass ein Eintritt bei den Vereinigten Ahrwinzern zwecks Zentralisierung einen sofortigen Verkauf des gesamten Lantershofener Winzervereinsgebäudes zur Folge hätte. Für die Mitglieder des Lantershofener Winzervereins war die Veräußerung des Saales und der Kneipe, die den Mittelpunkt des dörflichen Lebens darstellten, vollkommen indiskutabel. Eine Übernahme durch die öffentliche Hand hatte zu diesem Zeitpunkt durch die erst kurz zuvor erfolgte Eingliederung Lantershofens in die Gemeinde Grafschaft keine Aussicht auf Erfolg. So entschlossen sich die Mitglieder des Lantershofener Winzervereins gegen einen Beitritt zur Vereinigten Ahrwinzer Genossenschaft unter Einbringung des Vereinsvermögens um das Winzervereinsgebäude für das Dorf zu erhalten. Hierfür nahmen sie auch persönliche finanzielle Belastungen in Kauf, da die Weinproduktion in Lantershofen aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit eingestellt werden musste und die Lantershofener Winzer bei persönlichem Eintritt in die Ahrwinzer Genossenschaft ein Eintrittsgeld von 1.500 DM zu zahlen hatten. Zudem wurde über 10 Jahre hinweg jeweils 5 % ihres Ernteertrages von der neuen Großgenossenschaft eingezogen. Beides wäre ihnen erlassen worden, wenn sie das Winzervereinsgebäude in die neue Großgenossenschaft mit eingebracht hätten, sodass diese es hätte verkaufen können.
Die nächsten baulichen Änderungen erfuhr das Genossenschaftsgebäude in den 1990er Jahren. Unter Aufwendung von mehreren Tausend unentgeltlich erbrachten Arbeitsstunden wurde 1994 der Keller des Winzervereins ausgebaut und in einen für Feste und Veranstaltungen nutzbaren Zustand versetzt. Dem folgte 1996 eine Grundrenovierung des Festsaals. Als 2002 die bisherigen Pächter der Kneipe, Hedwig und Karl Krupp, in den Ruhestand gingen, entschied man sich zu einer grundlegenden Renovierung der arg in die Jahre gekommenen Kneipe und zu deren Ausbau zu einer modernen Gaststätte unter Einbeziehung der seit dem Ende der Weinproduktion nur noch als Lagerraum genutzten Remise. Auch hier wurden erneut unzählige Arbeitsstunden unentgeltlicher Eigenleistung eingebracht. In den folgenden zehn Jahren erwies es sich jedoch als immer schwieriger, das in seiner grundlegenden Bausubstanz über 100 Jahre alte Gebäude wirtschaftlich zu betreiben. Die Erlöse aus der Verpachtung der Gaststätte, der Vermietung von Festsaal und Gewölbekeller sowie aus dem Weinhandel reichten gerade noch zur Deckung der laufenden Kosten, sodass nach Alternativen für die Zukunft gesucht werden musste. Auch hier stellte wieder der Erhalt des Gebäudes als ein Zentrum des dörflichen Lebens den wichtigsten Antrieb für die Genossenschaftsmitglieder dar. Da Lantershofen mit dem Winzerverein als einziger Ort der Gemeinde Grafschaft noch über ein in privater und nicht öffentlicher Hand geführtes „Dorfgemeinschaftshaus“ verfügte, trat man in Verhandlungen mit der Gemeindeverwaltung über einen Verkauf des Gebäudekomplexes ein. 2012 wurde zunächst der Festsaal, 2014 nach der Einstellung des Gaststättenbetriebes im Winzerverein auch der Rest des Gebäudes durch die Gemeinde übernommen, die nun umfassende Umbau- und Sanierungsarbeiten an den Gebäuden anstrebt. Koordinierend tätig für die weitere Nutzung des Dorfgemeinschaftshauses ist seither der im Frühjahr 2014 gegründete Trägerverein „Dorfgemeinschaftshaus Winzerverein Lantershofen“ e.V.