Saxa loquuntur - Steine sprechen
In Gedanken des Weges gehend fallen dem Wanderer zwei kleine helle und ungewöhnliche Punkte im Braun und Moosgrün des Eichen- und Buchenwaldes auf. Bei näherem Hinsehen enttarnen sich die Punkte als kleine, weiß und hellbunt bemalte Steine, die entlang auch des weiteren Weges in Baumstümpfen, vermoosten Baumresten oder knorzigen Wurzelstöcken wohlgezielt platziert sind. Über Alraunen, Kobolde, Waldgeister und Wichtelmännchen sinniert der Wanderer, bis er erneut einen bunt zierlichen Stein, diesmal beschriftet, in weichem, grünem Moos eines Holztorsos findet: "Bleib gesund." So steht es auf dem Stein. Der steinerne Wunsch tut gut in heutiger Zeit. Gedanken an Bakterien, Viren und Bazillen vertreiben die schönen Gedanken an den glühendroten Sonnenaufgang, dessen Strahlen soeben durch die blattlosen Baumreihen dringen. Noch ein Stein. Diesmal kein frommer Wunsch. Eine konkrete Handlungsanweisung: "Hände waschen!" Mit Ausrufungszeichen. Wieder gehen die Gedanken in Richtung Bakterien, Viren und Bazillen. Steine sprechen. Saxa loquuntur. So wie bei Beda Venerabilis, einem Kirchenlehrer um das 8. Jahrhundert herum. Der alte und fast ganz blinde Beda war von einem Führer auf ein menschenleeres Feld voller großer Steine geführt worden. Bedas Führer gaukelte ihm vor, hier warte eine große Menschenmenge auf seine Predigt. Gewaltig war die Predigt des blinden Beda, die er mit "in Ewigkeit" schloss. Und die Steine sprachen: "Amen".