Neue Heimat Lantershofen - Ansiedlungen in Grafschaft 1945-1953 (3)
Integration
Auch wenn es sich bei den Heimatvertriebenen nicht um Ausländer, sondern um Landsleute aus anderen deutschen Siedlungsgebieten handelte, bereitete die Eingliederung in die hiesige Bevölkerung doch manche Schwierigkeiten. Eine Frau, die damals ein kleines Kind war, erinnert sich: „In den ersten Tagen nach unserer Ankunft kam ein Mädchen aus der Nachbarschaft zu uns und bestürmte mich mit Fragen: „Määtsche, wii heesch duu? Küs de raff? Wan häs de Naamensdaach?“ usw. Teils verstand ich nicht, was sie sagte, teils konnte ich keine Antwort geben. So wusste ich nicht, wann ich Namenstag hatte, denn wir feierten nur den Geburtstag. Enttäuscht über meine unbefriedigenden Antworten stieß das Nachbarmädchen schließlich erbost heraus: „Ää, bes du doof!“ Als ich später mit Kindern auf der Straße spielte, kam ein Junge und sagte: „Hau aff, du schpels net met, du Polack. Ja, für uns Kinder war der Neuanfang schwer.“ Ein anderer Heimatvertriebener berichtete: „Wir sind damals beschimpft und als Polack bezeichnet worden. Als Kind habe ich das nicht so sehr mitbekommen, erst später ist mir das bewusst geworden. Nur zwei Dorfbewohner zeigten sich mir anfangs gegenüber freundlich und aufgeschlossen. Von den gleichaltrigen Kindern wurden wir allerdings angenommen.“
Ein Spiegelbild des dörflichen Zusammenlebens bieten die Schiedsmannsbücher, von denen sich leider nur das für die Gemeinden Birresdorf, Leimersdorf und Nierendorf erhalten hat. Darin finden sich bis 1960 nur zweimal Streitigkeiten zwischen Einheimischen und Heimatvertriebenen. In beiden 1952 protokollierten Fällen fühlten sich Heimatvertriebene durch den Ausdruck „Polack“ bzw. im zweiten Fall noch durch die Worte „Pole“ und „Zigeunerpack“ beleidigt. Durchweg positiv äußerten sich hingegen die Lehrer und Pfarrer über die Heimatvertriebenen in ihren für die Nachwelt bestimmten Chroniken. So notierte Lehrer Eduard Berres von Leimersdorf 1950 in seine Schulchronik, dass über 20 Kinder von Heimatvertriebenen in die Schule gekommen seien. Im Gesamten gesehen brächten sie eine Bereicherung des Unterrichts. Es seien durchweg gute anständige Familien. Dann fährt er fort, er habe von den Kindern gehört, dass sie von Lehrern in Schleswig-Holstein mit Ausdrücken beleidigt worden seien. Er könne nur hoffen, dass es einzelne Lehrer waren, die so intolerant dachten. Das gäbe es hier im Rheinland doch nicht. Lehrer Robert Krämer von Karweiler schrieb in der Schulchronik: 1950 kamen nach Karweiler die drei Familien Proksch, Hennig und Ziganowski als erste Ostflüchtlinge. „Bald fanden sie Arbeit und gliederten sich gut in die Dorfgemeinschaft ein. Fünf Kinder schickten sie zur Schule. Auch sie lebten sich schnell in die Klassengemeinschaft ein und folgten dem Unterrichte mit Interesse.
Zu manchen Irritationen und Missverständnissen führte die in den Dörfern gesprochene Mundart. Zwar hätten die Einheimischen mit den Heimatvertriebenen hochdeutsch sprechen können, doch taten sie dies nicht, da sie Hochdeutsch erst in der Schule gelernt hatten und darin keine Übung besaßen. Auch wenn später Einheimische und Zugezogene heirateten, sprach der hiesige Ehepartner weiterhin oft in Mundart und der zugezogene Partner hochdeutsch. Mit den Jahren lernten die Zugezogenen die Mundart zu verstehen, sie zu sprechen gelang aber nur den Kindern. Das Nichtbeherrschen der Mundart bedeutete, dass sich die Heimatvertriebenen noch lange als Fremde fühlten, denn immer wenn sie redeten, spürten alle, dass sie nicht zur eingesessenen Dorfgemeinschaft gehörten.
Ein weitere Schwierigkeit ergab sich aus der unterschiedlichen Konfession. Damals war das Verhältnis zwischen Katholiken und Evangelischen noch voller Spannungen und Missverständnisse. Bei der Zuteilung der Heimatvertriebenen wurde darauf geachtet, dass sie dort angesiedelt wurden, wo ihre Konfession verbreitet war. Das ließ sich jedoch häufig nicht erreichen, da viele Heimatvertriebene evangelisch waren. Daher wurden auch in den fast rein katholischen Dörfern der Grafschaft etliche Evangelische eingewiesen. Sie beklagten, ihnen fehlte eine religiöse Betreuung, außerdem könnten sie nicht an Gottesdiensten in Neuenahr, Remagen oder Oberwinter teilnehmen, da sonntags nur wenige Omnibusse fahren würden. Katholiken, wie die Flüchtlinge aus dem Ermland, dem Kerngebiet von Ostpreußen, hatten es da leichter. Sie kamen in eine Umgebung, die ihnen in dieser Hinsicht vertraut war. Brauchtum und Sitten waren damals noch stark kirchlich geprägt. Dies trug entscheidend dazu bei, sich hier heimisch zu fühlen. Förderlich für die Integration war sicherlich auch, dass die Heimatvertriebenen nicht an einer Stelle zusammen angesiedelt, sondern auf die Dörfer verteilt wurden. Die Flüchtlinge passten sich den Sitten und Gebräuchen ihrer neuen Heimat an, wurden Mitglied in den Vereinen und der Feuerwehr. Manche jungen Leute wurden Maikönig oder Maikönigin. Man heiratete untereinander. Dabei entstanden auch konfessionell gemischte Ehen. So kam neues Blut in die Dörfer und vielleicht auch etwas frischer Wind. Spürbare Einwirkungen auf das soziale Gefüge und das Dorfgeschehen hatten die Heimatvertriebenen freilich kaum. Dazu war ihre Zahl zu gering und ihr Stellung als arme Zuwanderer ohne Einfluss. Die nach dem Krieg geborenen Kinder wuchsen hier heran und lernten die hiesige Mundart. Hier war ihre Heimat. Die Heimat ihrer Eltern kannten sie nur noch aus Erzählungen. Inzwischen sind 60 Jahre vergangen und alle Schwierigkeiten der Anfangsjahre längst überwunden. Nur noch die Familiennamen der Heimatvertriebenen und ihrer Nachkommen erinnern an die nicht rheinische Herkunft. (Ottmar Prothmann, Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2011 - Teil 3).