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Bis zu 4.000 Menschen nach der Flut traumatisiert

Von Thomas Weber |

Ministerpräsidentin Malu Dreyer eröffnet Traumahilfezentrum in der "Burg"

Fünf Monate ist die Flut im Ahrtal her, und noch immer kommen die Gedanken an die Nacht zum 15. Juli bei vielen Menschen hoch. Manche starren täglich auf den Wetterbericht, andere können sich nicht unter die Dusche stellen, weil sie das Laufen des Wassers nicht hören können. Studien zufolge verschwindet ein solches Trauma bei 90 Prozent derer, die etwas Schreckliches erlebt haben, nach einigen Wochen wieder. Aber um die verbleibenden zehn Prozent, die mit Schlafstörungen oder Albträumen kämpfen, muss sich umso mehr gekümmert werden. „Wir haben mal gerechnet und vermuten, dass 3.500 bis 4.000 Menschen langfristig unter einem Flut-Trauma leiden werden“, sagt Dr. med. Christoph Smolenski, der Geschäftsführer der Ehrenwall´schen Kliniken Ahrweiler.

Unmittelbar nach der Flut, die die Klinik schwer getroffen hat, nahm man die Arbeit wieder auf. Jetzt wurde mit einem neuen Traumahilfezentrum (THZ) ein Anlaufpunkt mit niederschwelligem Angebot für Betroffene geschaffen. Die Ehrenwall’schen Kliniken kooperieren dabei mit der DRK-Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Auch deren Haus erlitt schwere Schäden, darum sitzt das THZ auch nicht in der Kreisstadt, sondern im Studienhaus St. Lambert auf Burg Lantershofen, wo man in eines von vier ehemaligen Wohngruppenhäusern eingezogen ist. Am Montag war offizieller Startschuss, zu dem man vor Ort die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Gesundheitsminister Clemens Hoch begrüßen konnte. Sie kamen nicht mit leeren Händen, sondern mit einem Bewilligungsbescheid über 766.000 Euro. Das Geld sichert die Arbeit des THZ für die kommenden drei Jahre, ausgelegt ist das Hilfsangebot laut auf fünf Jahre, auch dafür sagte die Ministerpräsidentin bei Bedarf weitere Unterstützung zu.

Das THZ sei ein bundesweit einmaliges Projekt, machte Christoph Smolenski deutlich. Und es wird schon jetzt angenommen, für die erste Woche gibt es keine Termine mehr, aber es gibt offene Sprechstunden. Malu Dreyer betonte, dass es das Anliegen der Landesregierung sei, den Menschen an der Ahr zu helfen. „Wir brauchen daher ein solches Traumahilfezentrum, alles andere wäre zu klein gedacht“, so die Ministerpräsidentin. Sie betonte, dass die Türen für alle Menschen geöffnet seien, die Beratungen sind kostenlos. Smolenski betonte in der Folge die Aufgabe des Landes, auch an die Menschen zu denken, die schon vor der Flut krank waren und psychiatrische Hilfe benötigten.

Leiterin des THZ ist Dr. Katharina Scharping, sie hilft mit ihrem Team bei der Bewältigung des Erlebten. Dafür bietet das THZ offene Sprechstunden für Menschen mit psychischen, medizinischen oder psychosozialen Problemen an. „Es ist ein Treffpunkt für Betroffene, ohne dass sie direkt in eine Psychiatrie gehen“, sagt Scharping. Im Studienhaus St. Lambert gibt es ein offenes Café für einen zwanglosen Austausch, wegen der aktuellen Corona-Entwicklung ist dieses aktuell allerdings geschlossen. Scharping machte deutlich, dass nicht nur die Menschen, die die Flut unmittelbar erlebten, traumatisiert sein können. „Auch Helfer können sich selber ausbremsen, Burnout erleiden. Wir bieten daher ein Angebot für Betroffene, für Helfer, für helfende Betroffene und für betroffene Helfer“, so die Ärztin. Sie bittet jeden, der heute noch in irgendeiner Weise psychisch unter den Folgen der Flut leidet, ins THZ zu kommen oder einen Besuch anzufordern: „Sie erfahren hier eine Beratung ohne Krankenhauskarte, ohne vorherige Diagnose und ohne Kosten.“

Kristian Holtkamp vom Kooperationspartner DRK Fachklinik zeigte sich dankbar für die langfristige Planung des THZ. Er befürchtet gerade bei Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie eine sehr schleichende traumatische Entwicklung. In dem Zusammenhang empfahl der Kreisbeigeordnete Friedhelm der Politik auf einmal darüber nachzudenken, ob man die schulischen Leistungen möglicher traumatisierter aktuell mit der Vergabe von Noten bewerten solle.

www.thz-ahrtal.de