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Mairegen

Von Reinhard Mey |

Regen rinnt in kleinen Bächen über mein Gesicht, bin durchnäßt bis auf die Haut, doch ich wehre mich nicht. Als ich ein Kind war, fand ich mich zu klein und wollte gern ein kleines Stückchen größer sein. Da hört' ich eines Tages, daß der Regen im Mai für die Wunscherfüllung und das Wachstum zuständig sei. So kam es, daß ich im Frühling tagelang vor der Haustür stand und die Wolken besang.

Mairegen laß mich wachsen, Mairegen mach mir Mut, Mairegen laß mich glauben: Alles wird gut.

Manch kindlicher Kinderglaube verläßt dich im Leben nie. Schließlich bin ich heut größer als Berlusconi, größer als Sarkozy. Darum ist es klug, du führst auf Schritt und Tritt eine kleine Regenwolke mit dir mit, denn im Leben kommt es manchmal knüppeldick. Und du glaubst, du hast die Wahl nur zwischen Kugel und Strick. Wenn das letzte Fünkchen Hoffnung dich verläßt, hältst du dich an einem kleinen Kinderreim fest:

Mairegen laß mich wachsen, Mairegen mach mir Mut, Mairegen laß mich glauben: Alles wird gut. Mairegen komm und regne, regne in mein Herz, regne meinen Kummer fort, lindere meinen Schmerz. Mairegen laß mich wachsen, Mairegen mach mir Mut, Mairegen laß mich glauben: Alles wird gut.